
Strukturreform
im Kanton Aargau: Elitegymnasium und Anderes
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Dezember
2006
Aargau
Strukturreform
Elitegymnasium
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Der
Aargau will in die Bildung investieren
Start
der Vernehmlassung zur Reformvorlage "Bildungskleeblatt"
Eine
frühere Einschulung, Tagesstrukturen im ganzen Kanton, eine durchlässige
Oberstufe ohne Realschule und mit einem Elitegymnasium sowie eine auf die
soziale Belastung der einzelnen Schule abgestimmte Pensenzuteilung bilden
die vier Teile der geplanten Reform der Aargauer Volksschule namens "Bildungskleeblatt". |
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Der
Regierungsrat hat im Dezember 2006 den entsprechenden Planungsbericht in
die Vernehmlassung geschickt.
Der
Regierungsrat des Kantons Aargau will in die Bildung investieren. Damit
soll die Schule Aargau den heutigen Anforderungen angepasst und die Attraktivität
des Standorts Aargau für junge Familien und die Wirtschaft erhöht
werden. Gleichzeitig werden die Rahmenbedingungen für die Lehrpersonen
und die Schülerinnen und Schüler verbessert. Die Regierung ist
bereit, hierfür jährlich gegen 200 Millionen Franken mehr für
die Volksschule aufzuwenden.
Bildungskleeblatt":
Die vier Reformvorhaben
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Schuleintritt
im fünften Altersjahr
Der
Schuleintritt erfolgt im fünften Altersjahr. Alle Kinder lernen und
spielen in altersgemischten Lerngruppen. Auf Einschulungs- oder Kleinklassen
wird verzichtet. Zwei Lehrperson mit insgesamt 150 Stellenprozenten erteilen
den Unterricht. Sie fördern die Kinder individuell, alters- und entwicklungsgerecht.
Dabei wird berücksichtigt, dass Kinder in diesem Alter die höchste
Lernleistung im Leben haben. Deshalb dürfen die Kinder bereits ab
dem ersten Schultag lesen, schreiben und rechnen. Die Primarschule dauert
mit dieser Eingangsstufe neu insgesamt acht Jahre. Je nach Leistungsfähigkeit
kann ein Kind diese schneller oder auch langsamer durchlaufen.
Oberstufe
mit Niveaugruppen
Die
um ein Jahr verkürzte dreijährige Volksschul-Oberstufe wird mit
Niveaugruppen durchlässiger. Der Regierungsrat schlägt zwei Schultypen
und in drei Fächern Niveaus mit je drei Leistungsstufen vor. Je rund
die Hälfte der Primarschülerinnen und -schüler wird dem
berufsvorbereitenden (B) beziehungsweise dem maturitätsvorbereitenden
Schultyp (M) zugeteilt. In Mathematik, Englisch und Französisch erfolgt
zudem eine Zuteilung in ein Niveau mit allgemeinen (a), erweiterten (e)
oder progymnasialen (p) Anforderungen. Je nach individueller Entwicklung
können die Schülerinnen und Schüler an zwei oder drei Terminen
pro Jahr die Niveaustufe und/oder den Schultyp wechseln. über- und
Unterforderungen können damit weitgehend vermieden werden.
Elitegymnasium
für die Besten
Die
leistungsfähigsten Jugendlichen des Kantons haben nach der Primarschule
die Möglichkeit, sich um die Aufnahme in das Elitegymnasium zu bewerben.
Dieses Angebot ist in der Schweiz bisher einzigartig. Die besten drei Prozent
eines Schülerjahrgangs können davon profitieren. Sie werden auf
allerhöchstem Niveau auf ein Studium an einer Universität vorbereitet.
Flächendeckende
Tagesstrukturen
Die
Aargauer Regierung möchte zudem im ganzen Kanton ein bedarfsgerechtes
Angebot an Tagesstrukturen bereitstellen. Der Aargau ist der erste Kanton
der dieses Angebot flächendeckend einführen will. Die Kinder
der Primar- und der Oberstufe werden von morgens sieben bis abends sechs
Uhr unter der Verantwortung der Schule gefördert, betreut, verpflegt
und unterrichtet. Das zusätzliche Förder- und Betreuungsangebot
ist für die Kinder und Jugendlichen freiwillig. Die Eltern werden
einkommensabhängig an den Kosten beteiligt. Kanton und Gemeinden tragen
die restlichen Kosten. Mit den Tagesstrukturen kann der Schulerfolg der
Kinder und Jugendlichen erhöht werden. Die Eltern können sowohl
Kinder haben als auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen.
Pensenzuteilung
nach Sozialindex
Die
bisherige einheitliche, für alle Schulen gleiche Pensenzuteilung,
wird durch ein neues, vereinfachtes System ersetzt. Bei der Zuteilung der
Lektionenzahl für eine Schule werden die sozialen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen des Schulorts berücksichtigt. Eine für alle
Gemeinden geltende Pauschale pro Schüler wird mit dem Sozialindex
des Orts multipliziert. Dieser variiert zwischen 1,0 für unbelastete
und 1,4 für stark belastete Gemeinden. Den Gemeinden werden somit
bis zu 40 Prozent mehr Lektionen zugeteilt. Dadurch können belastete
Schulen zum Beispiel zusätzlichen Sprachunterricht anbieten oder kleinere
Klassen bilden. Damit kann die Chancengerechtigkeit für alle Kinder
und Jugendlichen erhöht werden.
Zusätzliche
Stellen für Lehrpersonen
Mit
den zusätzlichen Unterrichtspensen für die Eingangsstufe, der
Reduktion der maximalen Schülerzahl pro Abteilung und dem neuen System
der Lektionenzuteilung werden trotz starkem Rückgang der Schülerzahlen
mehr Stellen für Lehrpersonen nötig sein als im Schuljahr 2005/06.
Wettbewerbsfähigkeit
steigern
Mit
den geplanten pädagogischen und strukturellen änderungen will
der Kanton Aargau seine nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit
steigern und seine Wirtschafts- und Innovationskraft stärken. Der
Ausbildungstand und der Wohlstand der Bevölkerung hängen zusammen.
Eine leistungsfähige Volksschule legt die Grundlage für eine
gesunde, leistungsfähige Gesellschaft. Die Einführung der Reformen
soll mit dem Schuljahr 2010/11 beginnen.
Die
Frist der öffentlichen Vernehmlassung läuft bis zum 15. März
2007.
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Quelle:
Kanton Aargau, Dezember 2006 |
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Debatte
um staatliche Eliteschule lanciert
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Wurzeln
bei Avenir Suisse
Das
Elitegymnasium ist nur ein Teil einer Reform, die das Aargauer Schulsystem
radikal umkrempelt. Die Reform wurde offensichtlich durch den Leiter der
Christian Aeberli der Abteilung "Leiter Volksschule" im Departement für
Bildung und Kultur (BKS) mitgeprägt. Christian Aeberli war bis im
Jahre 2005 der bildungspolitische Vordenker der von der Wirtschaft finanzierten
Denkfabrik Avenir Suisse. Christian Häberli hat sich in seinen Publikationen
durch akzentuierte Bildungsreformvorstellungen profiliert. Seit dem Abgang
von Häberli bei Avenir Suisse setzt die Denkfabrik weniger Akzente
in Bildungsfragen.
"NoHarmoS"
Die
Idee eines Elitegymnasiums ist derart neu, derart unschweizerisch, dass
sich die Exponenten des Schweizer Bildungswesens im ersten Moment erst
um eine eigene Standortbestimmung bemühen mussten. Die vorsichtig
ablehnenden Reaktion aus zahlreichen Deutschschweizer Kantonen deuten daraufhin,
dass ein Elitegymnasium zum heutigen Zeitpunkt ein allzu "heisses Eisen"
für eine bildungspolitische Diskussion ist. Unterstützung fanden
die Aargauer Vorstellung vor allem in Elternkreisen von Kindern, welche
über besonders ausgeprägte Begabungen verfügen.
Erst
vor ein paar Monaten wurde dem Schweizer Volk die Notwendigkeit einer gesamtschweizerischen
Bildungsharmonisierung angepriesen. Die Vorstellungen, welche im Kanton
Argau entwickelt wurde, entsprechen auf den ersten Blick nicht den Leitgedanken
von "Harmos", dem Bildungsharmonisierungsprojekt in der Schweiz. Es erstaunt,
dass die Idee nicht in der "Wiege der EDK (Konferenz der Schweizer Erziehungsdirektoren)
geboren" wurde. Diese Institution hat in den vergangenen Jahren konsequent
die Bildungskoordination in der Schweiz vorangetrieben. Vielleicht muss
die Aargauer Idee als "Versuchsballon" dienen, um die Realisierbarkeit
des gewagten Vorhabens auszuloten.
Promotionsidee?
Die
politische Diskussion im Kanton Aargau wird zeigen, wie ernst es dem Regierungsrat
mit der Verwirklichung eines Elitegymnasiums ist. Es ist kaum anzunehmen,
dass er die anderen Eckpfeiler seiner Bildungsinitiative, "Bildungskleeblatt
genannt, der Pionieridee eines Elitegymnasiums opfern wird. Auffallend
ist, dass die übrigen Reformvorhaben der Aargauer Regierung in den
Schweizer Medien weniger Beachtung gefunden als jene des Elitegymnasiums.
Es
ware wenig realistisch, wenn der Kanton Aargau im Alleingang ein Elitegymnasium
einführen würde. Für die Entwicklung der Vorgaben, Ziele,
Lehrpläne usw. eines solchen Gymnasiums braucht es gesamtschweizerische
Vereinbarungen. Es gibt wenig Sinn, wenn die Aargauer Regierung die Aargauer
Besonderheit "Bezirksschule" abschaffen und praktisch gleichzeitig eine
neue kantonale Besonderheit installieren will. Es ist allerdings
gut möglich, dass sich im Laufe der nächsten Monate die Idee
eines "Elitegymnasiums" von einer Pionieridee zu einer guten Promotionsidee
der Aargauer Regierung mausern wird.
Diskussion
notwendig
Der
Begriff "Elite" hat in der Schweiz fast etwas Anrüchiges. In der Schweiz
hat sich längst eine Eliteschicht in den verschiedensten Bereichen
entwickelt, ob wir nun die Angehörigen dieser Schichten als Elite
bezeichnen wollen oder nicht. Volk und Politik müssen in Zusammenhang
mit einer Elitebildung u.a. verschiedene Fragen klären: Welche
Art von Bildungselite soll der Staat fördern? Wie hoch soll der Anteil
der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten im Bereich der Mittelschulen sein?
Wie will der Staat begabte junge Menschen fördern, welche neben einer
Lehre die Berufsmittelschulen besuchen möchten?
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Kommentar:
RAOnline 2006 |
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Wissen
wird immer wichtiger. Damit kommt der Diffusion und Transmission von neu
generiertem Wissen auf verschiedenen Ebenen der Volkswirtschaft eine eminente
Bedeutung zu. Im ganzen Wissenswertschöpfungs-
prozess
spielen Hochschulen daher eine entscheidende Rolle. |
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oben
Schulreform
"Bildungskleeblatt": Politischer Entscheid und Zeitplan
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25.September
2007 |
Der
Grosse Rat des Kantons Aargau hat die Einführung eines "Elitegymnasiums"
im Aargau abgelehnt.
Die
vier Reformprojekte (Kleeblätter) wurden mit recht deutlichen Mehrheiten
angenommen.
Knappere
Mehrheiten gab es bei der Verabschiedung der Leitsätze. |
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Bis
Ende 2008 |
Verfassungsänderungen
und Gesetzesentwürfe gehen in die Vernehmlassung. |
2008 |
Grosser
Rat debattiert und verabschiedet die Verfassungsänderungen und die
Gesetzesentwürfe |
2009 |
Volksabstimmung
über die Verfassungsänderungen und die Gesetzesentwürfe |
2011/12 |
bei
einem positiven Volksentscheid:
Umsetzung
der Schulreform |
Bei
den Abstimmungen hat die Fraktionsdisziplin eine wesentliche
Rolle gespielt.
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Staatskundliche
Randnotiz |
Fraktionsdisziplin
- Eine "Spielart" der parlamentarischen Demokratie |
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Beobachtern
fällt auf, dass bei Abstimmungen und Wahlen im Bundesparlament oder
in den Kantonalen Parlamenten immer häufiger die Fraktionsdisziplin
beschworen wird, d.h. die Parlamentarinnen und Parlamentarier einer Partei
folgen bei den Abstimmungen und Wahlen geschlossen den zuvor beschlossenen
Fraktionsparolen. |
|
Alle
Parlamentsmitglieder einer Partei bilden eine Parteifraktion innerhalb
des Parlamentbetriebes. An den Fraktionssitzungen werden Parlamentsgeschäfte
behandelt. An diesen Sitzungen wird ein einheitliches Stimmverhalten zu
Abstimmungsvorlagen beschlossen. Die Parlamentsmitglieder müssen sich
an diese Beschlüsse halten, auch wenn sie eine unterschiedliche Meinung
zu einem bestimmten Geschäft vertreten. Abweichende Meinungen werden
nur widerwillig toleriert.
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Schweiz
Staat
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Themen
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